
Die Grippe spricht Deutsch. Wir kennen sie von klein auf, sind an sie gewöhnt, sie ist quasi wie eine unangenehme entfernte Tante, die ab und an im Winter zu Besuch kommt, aber nicht wirklich schadet. Ein Trugschluss. Denn die meisten wissen nicht oder wollten es nie wissen, wieviele Tote alljährlich an der Grippe sterben. So gab es bei der Grippewelle im Winter 2017/2018 über 25.000 Tote alleine in Deutschland. Trotzdem gab es nie Absagen von Veranstaltungen, Schließungen von Geschäften, Lokalen, Firmen und vor allem Grenzen. Keine Ausgangssperre, keine wirtschaftliche Katastrophe, kein Shutdown, keine Hamsterkäufe, Toilettenpapier war stets vorrätig. Die Grippe war ja “nur” eine Tante…
Aber: Der COVID-19 Virus aus der Familie der Corona-Viren spricht Chinesisch, ist fremd, exotisch – man hat Angst vor dem Fremden. Wer Hunde und Katzen, ja sogar Affen isst, bringt Böses über uns. Die Bewohner eines Landes werden in Sippenhaft genommen. Selbst Chinesen, die hier integriert sind, leben und arbeiten, werden misstrauisch angesehen, teils angepöbelt als vermeintlichem Ursprung allen Übels. Das Schlimme ist hierbei auch die Sprache. Man liest: “Personen, die unter Verdacht stehen, infiziert zu sein”. Unter Verdacht. Diesen Begriff nutzt man bei Kriminellen, aber doch nicht bei Erkrankten, bei Opfern. Oder haben Sie schon einmal gelesen: “Herr XY steht unter Verdacht erschlagen worden zu sein.” Man kriminalisiert somit mittlerweile die Opfer – wohin soll das noch führen. Der Virus greift offenbar Hirn und Herz an, so dass der gesunde Menschenverstand sowie das Mitgefühl verloren gehen. Ganz abgesehen von anderen Begriffen, mit denen wir jetzt leben müssen wie social distancing, homeschooling, flattened curve oder auch shutdown. Und exponentielles Wachstum gehörte auch nicht in unseren Wortschatz… Für die Februar-Ausgabe von EL AVISO schrieb ich am 24. Januar einen Text mit dem Titel “Grund zur Sorge oder Panikmache?” Damals gab es weltweit rund 2.000 Infizierte und 56 Tote. Heute (Stand 25. März, morgens), nur zwei Monate später, sind es über 420.000 Infizierte und mehr als 19.000 Tote – und ein Ende ist kaum abzusehen. Eine schreckliche Entwicklung. Und man hat Angst, ich habe Angst. Toller Zusammenhalt und Disziplin Was aber bei all dem Drama wunderbar zu spüren ist, ist der Zusammenhalt der Menschen, zumindest auf Mallorca. Als Insulaner haben wir eine fantastische Chance, dass das Abschotten funktionieren könnte. Das ist – so scheint es aktuell – unser Vorteil, unser Schutz. Auch wenn noch bis 12. März Kreuzfahrtschiffe aus Italien angelegt hatten und deren Gäste durch Palma streiften, und auch wenn bis vor kurzem noch Flüge aus Madrid, der hauptsächlich betroffenen Stadt Spaniens, hier landeten. An dieser Stelle muss man auch einen Dank an die Ministerpräsidentin Francina Armengol aussprechen, die für die Abschottung gekämpft und sich schließlich durchgesetzt hat. Hinzu kommt Disziplin. Man befolgt die Ausgangssperre, hält Abstand und macht sich mit berührenden Aktionen Mut, sorgt so für einige unbeschwerte Momente im Chaos. Da gibt es die Polizisten, die in den Straßen Streife fahren, aber auch anhalten und mit Gitarre und Tanz Kinderlieder singen, den Sackpfeifenspieler (Xeremia) auf einem Dach in Bunyola, der am frühen Abend als Ermutigung für die Dorfgemeinde spielt, das Musizieren und Singen von Balkonen wie nahezu auf der gesamten Insel, so auch in der Nachbarschaft unseres Herausgebers Frank Heinrich, den allabendlichen Applaus vom Balkon aus, der vor allem den Ärzten und den Pflegekräften, aber auch den vielen Mitarbeitern in Supermärkten, anderen geöffneten Geschäften und der Müllabfuhr gilt, die zur Zeit unglaubliches leisten, oder dem Bingospiel in meiner Nachbarschaft in Llucmajor, wo man sich von Balkon zu Balkon die Zahlen zuruft. Bingo!
Martina Zender