
Juan Cánaves entlockt mallorquinischen Wildpflanzen ihr Aroma. Der ehemalige Polizist hat seinen Job an den Nagel gehängt und widmet sich seither seiner Leidenschaft für die Natur. Seine ätherischen Öle und Blütenwässer sind sogar in Restaurants gefragt.
Das alte Gehöft in der Nähe des Freilichtmuseums Els Calderers ist umgeben von himmlischer Ruhe. Grillen zirpen, die Blätter der Bäume rascheln im Wind und ein liebenswerter kleiner Hund spielt sich als Wachhabender auf, wenn Besucher den unbefestigten Weg zur Finca hinauffahren. In dieser Idylle fühlt sich Juan Cánaves wohl. Seit drei Jahren wohnt er hier mit seiner Frau. Ihren Sohn, der vor einem Jahr geboren wurde, nannten sie Aloc, das ist der katalanische Name für Mönchspfeffer. Bester Beweis dafür, dass sich Juan ganz den Wildpflanzen verschrieben hat. Zwölf Jahre lang war er Polizist. „Aber ohne Leidenschaft“, betont er. „Das war nur ein Job, um die Rechnungen zu bezahlen.“ Die ehemaligen Kollegen hielten ihn für verrückt, als er seinen sicheren Posten an den Nagel hängte, um plötzlich nur noch Kräuter zu sammeln und daraus ätherische Öle zu destillieren.
Romero (Rosmarin): bei Erkältungen und Gelenkschmerzen, Bauch- und Kopfschmerzen, fördert die Konzentration
Seine Begeisterung dafür wurde vor Jahren bei Pflanzenexkursionen auf Formentera geweckt, denen er sich unter der Leitung der Italienerin Clara Castellotti anschloss. Die “Maestra en ofici d’herbolari“ der Balearen stellt Naturheilmittel auf der Basis einheimischer Heilpflanzen her und war Juans erste Lehrmeisterin. Mit einer Stimme, die nie laut zu werden scheint, beschreibt er die Wirkung, die Wildpflanzen auf ihn ausüben: „Sie geben mir Ruhe, Frieden, Sicherheit und Vertrauen.“ Sein Türöffner zur Welt der Pflanzen war die Estepa Juana. Den Grund für seine enge Verbindung zum Balearischen Johanniskraut kann er nicht beschreiben. „Wenn du dich in jemanden verliebst, weißt du ja auch nicht warum.“ Das Kraut gab ihm die Inspiration für die Blüte in seinem Logo und den Namen der Marke, unter der er seine Destillate vertreibt: „Najuana“.
Estepa Juana (Balearisches Johanniskraut): für die Blutzirkulation, stärkt das Herz, beruhigt
Aus seiner zur einen Seite offenen Brennerei strömt an diesem Tag ein durchdringender Geruch, der entfernt an Karottensaft erinnert. Denn in der Destillationsanlage, dem Alambique, entlockt Juan gerade der Zanahoria Silvestre, der Wilden Möhre, ihr Aroma. Nur einmal im Jahr werden ihre Blüten geerntet und verarbeitet. Das Destillierverfahren hat sich praktisch seit Jahrtausenden nicht verändert. Im unteren Teil des Kessels wird Wasser erhitzt, der Dampf durchdringt die darüber auf einem durchlöcherten Aromakorb aufgeschichteten Pflanzenteile, die so ihre wertvollen flüchtigen Stoffe freigeben. Der angereicherte Dampf wird im Kondensator wieder verflüssigt und unten aus dem Hahn tropft nun das Blütenwasser, das Hydrolat, in eine Glasflasche. Zunächst ist es fast durchsichtig, dann setzen sich dunkle Schwaden an der Oberfläche ab. Das sind die wertvollen ätherischen Öle, die später abgeschöpft werden. Von den 35 Kilogramm Blüten im Kessel gewinnt Juan nach ein paar Stunden 150 ml ätherisches Öl. Die absolute Essenz der Pflanze mit all den konzentrierten Wirkstoffen, die sie zu bieten hat.

„Von den 35 Kilogramm Blüten im Kessel gewinnt Juan nach ein paar Stunden 150 ml ätherisches Öl“
Zanahoria Silvestre (Wilde Möhre): verjüngt und beruhigt die Haut, steigert die Durchblutung, wirkt verdauungsfördernd
Die beste Zeit zum Sammeln der Pflanzen, rät Juan, ist zwischen 9 und 13 Uhr, wenn der Morgentau sich schon verflüchtigt hat und die ätherischen Öle in der späten Mittagssonne noch nicht verdampft sind.

Juan erntet überall dort auf der Insel, wo die Pflanzen natürlich vorkommen. Nur mit der Hand oder mit einem Messer trennt er die Blüten, Blätter oder Zweige ab. „Große Hersteller ernten ihre Monokulturen mit Maschinen. Aber das führt zu Stress bei den Pflanzen und vermindert die Kraft ihrer essentiellen Öle.“ In seinem Garten vor dem Haus wachsen, sozusagen als Anschauungsmaterial, diverse Wildkräuter. An ihnen beobachtet er den Reifegrad, damit er weiß, wann die Natur sie bereit gemacht hat zur Ernte. Neben dem Mönchspfeffer mit seinen lila Blüten und den weißen, zarten Dolden der Wilden Möhre sprießt hier auch ein Tabakstrauch gegen Gartenschädlinge. Eine Art magischen Zirkel bilden im Kreis gepflanzte Aloe Vera, in deren Mitte eine kleine Feuerschale steht. Der kleine Wildgarten verströmt sinnliche Düfte und ist eine Oase der Ruhe. „Man muss Pflanzen mit Respekt begegnen“, erklärt Juan. „Wer von Hand erntet und in kleinen Mengen destilliert wie ich, kann nicht rentabel arbeiten. Aber für mich stehen die Pflanzen im Mittelpunkt, nicht das Geldverdienen.“ Lavanda (Lavendel): beruhigt und entspannt, bei Stress und Schlafstörungen Jedes Pflanzendestillat hat einen anderen Preis, der sich nach dem mehr oder weniger komplizierten Prozess des Sammelns, der Dauer der Herstellung und der Ergiebigkeit der Pflanzenteile richtet. Für die ätherischen Öle und die Blütenwässer Marke „Najuana“ gibt es einen treuen Kundenstamm auf der Insel. Juan verkauft sie für medizinische Zwecke, zur Parfümherstellung und an Restaurants wie beispielsweise das bekannte Ca Na Toneta von Chefköchin Maria Solivellas in Caimari, an Santi Taura oder Sterneköchin Macarena de Castro. Speisen und Getränke mit natürlichen Essenzen zu aromatisieren, ist längst ein internationaler Trend. Einige hiesige Küchenchefs bevorzugen dafür Juans Destillate aus einheimischen Pflanzen, um ihren Gerichten eine typisch mallorquinische Note zu verleihen. Juan selbst benutzt seine Essenzen in der Küche für Desserts und zum Aromatisieren von Wasser, vor allem aber als Hausmittel bei Erkältungen und anderen kleinen Erkrankungen. Er kennt die heilenden Kräfte aller Pflanzen, die er verarbeitet. Sein Wissen gibt er gern an Besucher seiner Finca weiter, hält DestillierWorkshops ab und organisiert Wanderungen durch die Natur, bei denen er Anleitung über das Sammeln von Wildpflanzen gibt. „Man muss nicht gleich alle Heilwirkungen kennen“, betont er, „viel wichtiger ist es, dass Menschen und Pflanzen wieder zueinander finden.“ Mirto (Myrte): antibakteriell, entzündungshemmend, hautreinigend, schmerzlindernd, schleimlösend bei Erkrankungen der Atemwege In kleine Eichelhütchen gibt er je einen Tropfen verschiedener Essenzen und lässt die Besucher daran schnuppern – der frische Duft von 100-jährigen Zitronenbäumen aus Sóller ist in so einem Tropfen konzentriert, Rosmarin aus den Bergen verbreitet seinen vielfältigen und kraftvollen Sommerduft, das süßliche Aroma der Myrte betört die Sinne. Die hatte für die Mallorquiner früher eine besondere Bedeutung, einerseits zur Desinfektion und als entzündungshemmendes Mittel, andererseits als Duftwässerchen für Frauen. Jedes Jahr bei der „Fira de ses Herbes“ (Kräuterfest) in Selva wird vor Publikum der Destillationsprozess der Myrte in einem großen Kessel vorgeführt.
Limón (Zitronenschalen): stärkt das Immunsystem, senkt den Blutdruck, wirkt stimmungsaufhellend, vitalisierend
Aus dem Alambique in Juans kleiner Brennerei rinnt noch immer das Destillat der Wildmöhre. Zum dritten Mal bereits hat er eine neue Flasche unter die Tülle gestellt und das gewonnene Hydrolat in einen Glaskolben gefiltert. „Mir gefallen diese langsamen Prozesse“, sagt Juan. „Jede Pflanze braucht ihre eigene Zeit, um sich ihre Essenz abringen zu lassen.“ Manche geben sie schon nach drei Stunden ab, manche erst nach 15 Stunden. Geduld und Gelassenheit gehören dazu, die Transformation der Pflanze von ihrer Reifung bis zum fertigen Destillat mitzuerleben. Dieser entspannte Zustand stellt sich auf der kleinen Finca ganz von selbst ein. Juan lebt mit seiner Familie hier im Einklang mit der Natur, sie sammeln Regenwasser und gewinnen Strom aus Sonnenenergie. Seine Frau Marion Deprez kennt sich zwar mit Kräutern nicht so gut aus wie er, aber wenn zum Destillier-Kurs die Teilnehmer um den gemütlichen Holztisch in der Open-Air-Werkstatt sitzen und auf das Ergebnis warten, kann es vorkommen, dass sich die Folk-Musikerin mit ihrer Gitarre dazu setzt und leise Melodien spielt. Es ist, als könnte man in solchen Momenten sogar die Essenz des Lebens spüren.
Juan Cánaves, Finca bei Sant Joan
www.pasosdeherbolario.com
Instagram @juan_canaves
Besuche, Workshops und Wanderungen nach Anmeldung
Die Preise für 5 ml ätherisches Öl reichen von 15 € (Ciprés/Zypresse) bis 52 € (Olivardilla/Schmalblättriger Klebalant). 125 ml Hydrolat kosten 10 €
Christiane Sternberg n Fotos: Marcos Gittis und LiliGraphie/Shutterstock