
Der Argentinier Diego Blanco lebt seit 2000 auf Mallorca. Nach seinem Architekturstudium machte Diego Blanco in unzähligen Ausstellungen mit Zeichnungen und Gemälden auf sich aufmerksam, gewann Preise und musizierte. Den Durchbruch als Fotograf schaffte er 2017 mit seiner Ausstellung “Floating Women” in St. Petersburg, ein Jahr später folgten die Ausstellungen “Poetic City” und “St. Petersburg, Reflexion im Spiegel” über die Zarenstadt sowie Präsentationen in Kalkutta, Düsseldorf und Buenos Aires.

EL AVISO: Jetzt wären Sie in Buenos Aires mit Ihrer Ausstellung “Poetische Stadt, Spiegelung im Spiegel”. Was macht ein Fotograf und Musiker in der Zeit des Coronavirus?
Diego Blanco: In der Zeit der Quarantäne widmete ich mich dem Wesentlichen: der Musik, der Fotografie, dem Sport und den Überlegungen für neue Aktionen. Ich arbeitete jeden Tag an meinen Projekten, nahm mit Freunden über das Internet Musik auf, stellte meine Website fertig (Anmerk. d. Red.: www.diegoblanco.com) und hatte eine großartige Zeit mit mir selbst. Eine wunderbare Erfahrung, die ich sogar wiederholen würde. Wenn man die Grundbedürfnisse gedeckt hat und das Glück hat, bei guter Gesundheit zu sein, dann ist die Zeit des Coronavirus meiner Meinung nach ein guter Anlass, aufmerksam zu werden auf den Lebensstandard, das Alltägliche, das wir als selbstverständlich ansehen. Es ist ein Schlüsselmoment, innezuhalten, nachzudenken, sich zu fragen, ob man derjenige ist, der man sein möchte, und mit einem erneuerten Lebensplan, mit neuen Zielen und Erwartungen zu handeln. Und im Grunde ist es eine gute Zeit, um dankbar zu sein.

EA: Südamerika ist Ihre eigentliche Heimat. Sie haben in Buenos Aires Architektur studiert und etwa 20 Jahre auf Mallorca gelebt. Was hat Sie als Argentinier nach Mallorca gezogen und was hält Sie auf der Insel?
DB: Es wäre nicht sehr originell einfach zu sagen, dass Mallorca einer der besten Orte der Welt ist. Ich glaube, was mich am meisten angezogen hat, war der Kontrast zu meiner Heimatstadt Buenos Aires, einer Metropole voller Energie, Leidenschaft und Geschwindigkeit im Gegensatz zur Natur auf Mallorca, einem anderen Lebensrhythmus, anderen Menschen, einer anderen Kultur und völlig neuen Bräuchen, von denen ich viel gelernt habe. Ich lebe weiterhin auf Mallorca, weil ich mich hier sehr wohl fühle, die Menschen auf der Insel haben mir immer das Gefühl gegeben, zu Hause zu sein und waren sehr großzügig zu mir, ich bin sehr dankbar.

EA: Musik, Malerei und Fotografie, was machen Sie am liebsten?
DB: Alles! Die Synthese ist letztlich eine meiner größten Herausforderungen und ich mag sogar noch viel mehr Disziplinen. Als Mensch müsste man mindestens 500 Jahre leben, um eine gewisse Kenntnis seiner Existenz und Möglichkeiten zu erlangen. Aber da das nicht möglich ist, bleiben mir diese drei Leidenschaften, wobei ich mir bewusst bin, dass ich nur eine wählen sollte, aber ich kann nicht anders.
EA: Ihren Durchbruch als Fotograf hatten Sie nicht in Buenos Aires oder Palma, sondern in St. Petersburg und dorthin hatte Sie die Musik gebracht. Wie kommt man zu einer Foto-Ausstellung, weit entfernt von der Heimat?
DB: Die Neugierde und das Gefühl, dass alles möglich ist, führt mich immer wieder an unerwartete Orte und in neue Realitäten. Die Einladung eines Freundes, einen Monat lang in einem Hotel in Tiflis, Georgien, zu musizieren, war der Beginn einer musikalischen Reise, die durch Moskau und schließlich St. Petersburg führen sollte. Russland war für mich eine große Überraschung, etwas Unerwartetes. Ich staunte über jeden Tag, den ich durch die Straßen ging, über die Menschen, die ich traf, die Kultur, die Bräuche. Bei St. Petersburg war es Liebe auf den ersten Blick, eine Traumstadt, voll von Kunst und Künstlern, mit einer exquisiten Architektur, kombiniert mit Hunderten von Kanälen und Flüssen. Am Ende der Reise hatte ich das Gefühl, dass ich zurückkehren musste, und ich dachte, dass es eine gute Möglichkeit wäre, eine Fotoausstellung zu machen. Ich stellte die „Schwimmenden Frauen“ („Floating Women“) in mehreren Galerien vor, und sie liebten die Idee, die Sonne und das Meer von Mallorca in den Winter von St. Petersburg zu bringen, und nach einem Jahr eröffnete ich meine erste Ausstellung in Russland.

EA: Wasser scheint ein zentrales Element zu sein, bei den Fotos der auf Mallorca schwimmenden Frauen wie bei Reflexionen der Stadt St. Petersburg. Welche Bedeutung hat Wasser für Sie?
DB: Wasser ist nicht die natürliche Umgebung, in der wir leben, und gleichzeitig ist es der Ursprung, aus dem wir kommen. Es ist wie eine existenzielle Unbekannte… Seit ich auf Mallorca lebe, komme ich täglich mit dem Meer in Kontakt, was in mir eine Sensibilität weckte, die ich als Städter noch nicht erlebt hatte, und ich konnte der Idee nicht widerstehen, Wasser in ein künstlerisches Projekt einzubeziehen. So entstand die Idee, Frauen unter Wasser in einem ursprünglichen Zustand zu fotografieren, als wären sie Teil des Meeres, aquatische Wesen.

EA: „Floating Woman“ und ein Jahr später „St. Petersburg, Reflexion im Spiegel“ – was war das Gemeinsame, was der Kontrast?
DB: Der gemeinsame Punkt zwischen diesen beiden fotografischen Serien ist das Wasser, was mir erlaubt, mit neuen Augen zu beobachten und das künstlerische Objekt in einen anderen Kontext zu stellen. Einerseits die in einem zeitlosen Traum schwebende Frau und andererseits die mit impressionistischen Pinselstrichen gespiegelte Stadtlandschaft. Der Kontrast ist die Intimität des weiblichen Wesens mit dem öffentlichen Raum der Stadt.
EA: Haben Sie die Bürger von St. Petersburg mit Ihrer besonderen Perspektive überrascht?
DB: Ja, schon am Tag der Eröffnung konnte ich das Interesse der Öffentlichkeit sehen und die Zeit, die die Besucher mit dem Betrachten der einzelnen Fotos verbrachten, sowie ein gewisses Maß an Rätselhaftigkeit und Debatten beim Versuch, zu entziffern, wie die Fotos aufgenommen werden oder ob sie etwa gemalt wurden. Gleichzeitig war ich überrascht, als mir der künstlerische Leiter der St. Petersburger Staatlichen Akademischen Kapelle erzählte, dass in zwei Wochen mehr als 5.000 Menschen die Ausstellung besucht hatten.

EA: Sie spielen hauptsächlich südamerikanische Instrumente. Welchen Einfluss hat Ihr ehemaliges Herkunftsland auf Ihre Musik?
DB: Wir spielen Instrumente aus verschiedenen Teilen der Welt und auch aus Südamerika, wir versuchen, die Klänge so vielfältig wie möglich zu gestalten, und dass sich die Musik auf unterschiedliche Regionen des Planeten beziehen kann. Tatsächlich ist das musikalische Konzept von Babel (Anmerk. d. Redak.: www.babelnet.info) in dem Satz zusammengefasst: “In der Vielfalt liegt die Wahrheit”. Deshalb sind auf unseren Platten immer Gastmusiker verschiedener Nationalitäten zu hören, die unerwartete Nuancen einbringen. Zur gleichen Zeit, in der ich verschiedene Kulturen suche und von ihnen lerne, ist der Einfluss Argentiniens in allem, was ich tue, präsent, ich muss nicht darüber nachdenken, er kommt ganz natürlich heraus.

EA: …und welchen Einfluss hat das auf Ihre Fotografie?
DB: Die Einflüsse sowohl in der Musik als auch in der Fotografie sind stark. Auf der einen Seite die großen Künstler wie Beethoven, Klimt, Gaudi, Gardel und viele andere, und auf der anderen Seite meine Künstlerfreunde, mit denen ich die Kreativität in Echtzeit teile. Letztere geben die Einflüsse, die ich am meisten schätze und genieße.
EA: Sie hatten sehr viele Ausstellungen mit Ihrer Malerei, man findet aber davon keine Abbildungen mehr im Internet, haben Sie die Malerei aus Ihrem Leben verbannt?
DB: Nein, ganz und gar nicht, ich habe nur eine Auszeit davon genommen, um tiefer in andere Projekte einsteigen zu können.Die Malerei ist jedoch der Ursprung meines Kontakts mit der Kunst, sie ist das erste, was ich zu genießen gelernt habe, und sie ist immer präsent in dem, was ich tue. Wenn ich fotografiere oder Musik komponiere, tue ich es, indem ich über Konzepte von Architektur und Malerei nachdenke.
EA: Was bedeutet diese Phase Ihres Lebens für Sie?
DB: Der Weg der Harmonie. Die Dankbarkeit für die gute Gesundheit. Ich genieße es zu leben, zu reisen, zu lernen und zu teilen. Ich versuche, die einfachen Dinge des täglichen Lebens zu genießen, Freundschaft, Liebe, und gleichzeitig bewusst und begeistert von meinen künstlerischen Projekten zu sein.
EA: Woran arbeiten Sie gerade? Wird es eine Ausstellung auf Mallorca geben?
DB: Mit meiner Band Babel nehmen wir ein Album mit Litto Nebbia auf, einem Pionier des Rock in Argentinien. Es ist eine Ehre, eine große Erfahrung und eine sehr interessante Herausforderung. Auf der anderen Seite fotografiere ich weiterhin die “Floating Women”, und ich mache weiter mit einer Fotoserie, die den Titel “Illuminated” trägt: Akte mit sich bewegendem Licht. Was die Ausstellungen betrifft, so wird die nächste wieder in Russland stattfinden, aber diesmal ist der Vorschlag, den Geist von Mallorcas Landschaft zu zeigen, die sich im Meer spiegelt. Für nächstes Jahr habe ich eine Ausstellung auf Mallorca geplant, bei der die Reflexionen von St. Petersburg und Mallorca im selben Raum vermischt werden, als ob es ein Yin und Yang wäre. Ich bin auch sehr glücklich, da ich kürzlich eingeladen wurde, als Botschafter des “Russischen Roms, Internationales Kulturfestival” teilzunehmen, das in der ewigen Stadt verschiedene Persönlichkeiten aus der ganzen Welt zusammenbringt, die die russische Kultur fördern.

www.diegoblanco.com
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@diegoblancomallorca
Das Gespräch führte Frank Heinrich