
Der Mediziner Dr. Francisco Javier Moreno Bandera (62) absolvierte nach dem Studium der Medizin in Málaga in Deutschland seine Facharztausbildung für Innere Medizin und die Ausbildung zum Kardiologen. Seit 1998 arbeitet er als Internist und Kardiologe auf Mallorca, seit 2007 betreibt kardiologisch-internistische Praxen in Inca und Manacor. Eines seiner Hauptanliegen ist, seinen Patienten ein persönliches Verständnis für Gesundheit und Medizin zu vermitteln. Unter anderem entwickelt er Reha-Maßnahmen und ist ein Vorreiter in der öffentlichen Information zu medizinischen Themen, mit dezidierter Meinung zu Covid 19.
El Aviso: Ihr Anspruch ist laut Website „gute Medizin“, was bedeutet das nach Ihrem Verständnis? Ist ein intensives Kümmern um gesetzlich versicherte Patienten beim ärztlichen Zeit- und Abrechnungsbudget noch möglich?

Javier Moreno Bandera: Patienten orientiert, bedeutet das. Ich sehe mich immer an der Stelle des Patienten, um seine Interessen zu vertreten. Für mich ist es nicht so wichtig, ob ich an einem Patienten mehr oder weniger verdiene. Die ärztliche Beratung wird von den Kassen nicht sehr hoch bezahlt, aber ich investiere trotzdem bei jedem Patienten genügend Zeit. Über die reine Untersuchung hinaus höre ich ihm zu, berate ihn und dann ist er zufrieden. Das ist Qualität und er wird seine Zufriedenheit anderswo mitteilen. Ich bekomme dadurch neue Patienten und am Ende des Jahres stimmt dann auch mein Ergebnis.
EA: Inwieweit ist ein ganzheitlicher Ansatz sinnvoll beispielsweise unter Einbeziehung der psychologischen Probleme nach einer Herz-Operation? Gibt es Unterschiede im Gesundheitssystem?
JMB: Das ist sehr wichtig. In Spanien gibt es nach einer Herz-Operation keine Rehabilitation für Patienten. Eine Woche nach der Operation werden die Patienten entlassen. Er bleibt dann lediglich unter der Kontrolle des Hausarztes. Das ist anders bei einem Knochenbruch. Da gibt es richtig gute Rehabilitationsmaßnahmen. Beim Herzen ist das aus meiner Sicht aber noch wichtiger. Es gibt hier private und staatliche Kliniken. Der Standard der Medizin ist auf Mallorca insgesamt vergleichbar mit Deutschland. Das generelle Problem ist, in einem verbeamteten System ist das Verhältnis zum Patienten nicht wie ein Verhältnis zu einem Kunden, der zufriedengestellt werden muss. Bei dem verbeamteten Kollegen ist die Empathie, der Dialog mit dem Patienten und das Verhältnis zu ihm anders. Im Vordergrund steht die Heilung und nicht die Zufriedenheit des Patienten.

EA: Ich weiß, das Thema ist sehr komplex und erfordert umfassende Beratung, aber was raten Sie einem deutschen Residenten, wie soll er sich versichern?
JMB: Alle deutschen Residenten haben ja zunächst einmal Anspruch auf die gesetzliche spanische Sozialversicherung (alle arbeitenden Residenten sind pflicht-versichert). Zusätzlich können sich alle ohne schwere Vorerkrankung privat versichern, was in Spanien relativ günstig im Vergleich zu Deutschland ist, um über die gesetzliche Versicherung hinaus für die Menschen interessant zu sein. Für manche Zwecke ist eine private Versicherung sehr nützlich, zum Beispiel bei Notaufnahme oder Zugang zu Spezialisten. Das läuft zügiger und schneller. Die Sozialversicherung wiederum deckt auch Chemotherapien und Herztransplantationen ab, was private Versicherungen in der Regel nicht leisten.

EA: Sie informieren Ihre Patienten u.a. über Internet-Blogs. Ist bei einer Selbst-Diagnose nicht die Gefahr Symptome falsch zu deuten?
JMB: Ja, das mache ich, wenn ich Zeit habe (lacht). Ich finde die eigene Information und Recherche von Patienten grundsätzlich gut. Bei allgemeinen Symptomen kann das schwierig sein, aber wenn jemand beispielsweise ein langjähriger Diabetiker ist, weiß er manchmal über Diabetes mehr als sein eigener Arzt. Das Gleiche kann der Fall sein bei seltenen Krankheiten. Wenn es etwa um Kopfschmerzen geht, gibt es eine breite Palette von Ursachen. Da wird der Patient im Internet eher verloren sein.
EA: Sie haben sehr früh begonnen mit innovativen Angeboten, etwa Reha-Aufenthalte für Herzgruppen mit bis zu 150 Teilnehmern. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
JMB: Wir machen das jetzt schon 14 Jahre, in Kontakt mit deutschen Kollegen. In diesem Jahr ist es leider wegen Covid 19 ausgefallen. Das ist die sogenannte Rehabilitationsphase 3. In der ersten Phase wird dafür gesorgt, dass der Patient lebend aus der Klinik kommt. In der Phase 2 wird dafür gesorgt, dass der Patient wieder unter den besten Bedingungen in der Gesellschaft leben kann, seine Arbeit ausüben kann und so weiter. In der Phase 3 sorgt man dafür, dass der Patient möglichst nicht wieder erkrankt. Die deutschen Kassen haben erkannt: Wenn sie in eine Herzsportgruppe investieren, gehen die Patienten nicht mehr so häufig in die Klinik.
EA: Gibt es ein Rezept, wie ein Herz gesund bleibt?
JMB: Auf lange Sicht sterben alle Menschen. Insofern sind wir Ärzte nicht Lebensretter, sondern Lebensverlängerer. Je weniger wir die Risiken kontrollieren, umso häufiger haben wir Herzprobleme: Rauchen, Diabetes, Übergewicht, gar kein Sport, desto häufiger hat man mit dem Herz Probleme und man stirbt früher. Unter besten Bedingungen lange zu leben ist das Ideal und die meisten Menschen schaffen sich selbst schlechte Bedingungen.
EA: Welche Maßnahmen sind bei Herzproblemen wie Verengung oder Vorhofflimmern heute aktuell? Wozu raten Sie, wovon raten Sie ab?
JMB: Jede neue Methode, jedes Medikament kommt auf den Markt mit einer Euphorie-Welle. Da gibt es bei Vorhofflimmern beispielsweise die Ablation, die man uns als die Lösung überhaupt dargestellt hat. Nach mehreren Jahren wissen wir, es kann die Lösung sein, aber bei der überwiegenden Zahl an Patienten war das nicht so. Oder, vor einigen Jahren, kam ein Medikament gegen Rhythmusstörungen auf den Markt, dass dann nach kurzer Zeit wieder verschwand. Man sollte in der Medizin kein Snob sein, und seine Methode für die Beste halten, sondern erst mal beobachten.
EA: Laut Statistik haben Mallorquiner beste Voraussetzungen sehr alt zu werden. Woran liegt das?
JMB: Man weiß es nicht und jede Antwort ist reine Spekulation. Am Erbgut kann es nicht liegen, es gibt aufgrund der unterschiedlichen Völker und Zuwanderer, die im Laufe der Jahrhunderte nach Mallorca gekommen sind, eine große Mischung und Vielfalt. Derzeit ist zudem die Hälfte der Bevölkerung gar nicht hier auf der Insel geboren. Es gibt viele andere Parameter, die man berücksichtigen müsste. Die Lebensart könnte ein Faktor sein, dagegen spricht, dass Mallorca in Europa eine der höchsten Verbrauchszahlen an Antidepressiva und Schlafmittel aufweist. Bei den Franzosen hat man mal gemutmaßt, die höhere Lebenserwartung läge am Rotwein. Genauso könnten Sie sagen, diejenigen die Renault und Citroen fahren, leben länger, aber es gibt da keine direkte Verbindung (lacht).
EA: Ein anderes Thema: Inwieweit beeinflusst Corona Ihre Arbeit derzeit und wie schätzen Sie das Virus ein?
JMB: Ich sehe keinen Einfluss auf meine Arbeit. Wir haben auf Mallorca – anders als in anderen Regionen Spaniens – keinen Anstieg der Sterbenden zu verzeichnen. Und wenn man Spanien insgesamt betrachtet: Wissen Sie wie viele Leute weniger an Grippe gestorben sind? National sind es in diesem Jahr heute bereits 56.000 Fälle weniger. Kann es sein, dass diese Patienten unter dem Begriff Covid 19 gelaufen sind?
EA: Bei der Gefahr durch Covid 19, sind die Vorsichtsmaßnahmen ausgewogen?
JMB: Ich meine teilweise nicht. Bei einer Pandemie isoliert man normalerweise die Risikogruppen, aber nicht die Allgemeinheit, und hier ist das Gegenteil passiert.
EA: Konnten Sie sich als Internist bereits einen Eindruck von den Spätfolgen an offensichtlich unterschiedlichsten Organen verschaffen?
JMB: Es ist dafür noch sehr früh. Wir haben am Anfang geglaubt, es handelt sich ausschließlich um ein Sauerstoff-Problem der Lunge. Inzwischen wissen wir, die Einschätzung war wohl falsch. Zunächst haben wir also symptomatisch behandelt, und heute sehen wir auch die Mikrothromben, die sich dabei entwickeln, und was damit zusammenhängt.
EA: Wie kann es weitergehen? Ist ein Impfstoff wirklich entscheidend?
JMB: Ich denke nicht. Es liegt eher an der Gesellschaft, wie sie mit dem Virus umgehen kann. Denken Sie an schwere Grippewellen, die auch mit Angstwellen verbunden sind, oder an die verrückten Kühe und BSE – wo ist das denn überhaupt geblieben? Die Viren sind verschwunden im Universum, sind aber immer noch nachweisbar und im Kontakt mit uns. Bisher gab es, Gott sei Dank, keine Bakterien oder Viren, die uns vernichtet haben. Wir haben in mancherlei Beziehung eine Immunisierung erreicht.
EA: Wie sollten sich Menschen mit Herzproblemen oder Vorschädigungen jetzt verhalten?
JMB: Es gibt unterschiedliche Herzprobleme wie Sand am Meer. Es geht vor allem um Menschen mit Herzschwäche. Es geht nicht um ein Herzproblem an sich, sondern etwa, wie stark das Herz geschädigt ist. Zudem ist das Herz nicht allein betroffen, sondern ist Teil eines ganz komplexen Systems. Die Mehrheit der an Covid 19 verstorbenen Menschen waren alt. Es sind ganz wenige Todesfälle von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bekannt, deren Körper sich normalerweise gut verteidigen kann.
EA: Die medizinische Versorgung und Kapazitäten sind aus Ihrer Sicht sichergestellt?
JMB: Man hat über den möglichen Kollaps der Krankenhäuser spekuliert. Ich bin schon über 20 Jahre im Beruf, nirgendwo war es geschrieben, aber vor dieser Zeit hat jemand, der über 70 Jahre alt war, nie eine Intensivstation gesehen, egal was er hatte, und das in Spanien ebenso wie in Deutschland. Heute bekommt ein Mensch mit 104 Jahren einen Herzschrittmacher und wird auf der Intensivstation behandelt. Das hat sich geändert und das müssen wir in der medizinischen Versorgung einplanen.
EA: Wie geht es aus Ihrer Sicht mit Corona weiter?
JMB: Das ist eine Krankheit wie jede andere. Und wir werden sehen, wie viele Tote gab es am Ende des Jahres. Stellen Sie sich mal vor, im Juni gab es – so offizielle Zahlen – in Spanien weniger Tote als im vorherigen Jahr. Wenn wir nun Ende des Jahres konstatieren können, dass es insgesamt im Jahr 2020 trotz Spitzen in einigen Regionen des Landes, weniger Tote als 2019 gab, frage ich mich, wo war die Pandemie?
EA: Mit generellem Blick.Wo sind die Grenzen der Medizin?
JMB: Die Mediziner haben mittlerweile die Rolle der Priester übernommen, die an Bedeutung verloren haben. Weil die Menschen nicht mehr an ein jenseitiges Leben glauben, wollen sie das Leben um jeden Preis verlängern. Dabei ist es nicht entscheidend, ein langes Leben zu leben, sondern ein gutes Leben, auch wenn es ein bisschen kürzer ist. Wir kümmern uns um die Reparatur der Organe, aber nicht um den lebenswerten Zustand der Menschen. Wenn ich das Elend von Menschen unnötig verlängere, ist das nicht gut. Da sind wir auch wieder bei der wichtigen Frage, wieviel Zeit nehme ich mir für einen Patienten.

Das Gespräch führte Frank Heinrich