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Froher Sonntag, liebe Leser.
Die deutschen Wahlen sind nur noch zwei Wochen entfernt. Über Europas größter Volkswirtschaft haben sich dunkle Wolken zusammengezogen. Die steigenden Energiekosten nach Russlands Invasion der Ukraine, der wachsende Wettbewerb aus China und nun die Bedrohung durch US-Zölle haben die wirtschaftliche Aktivität ausgebremst. Deutschland verzeichnet seit zwei Jahren ein negatives Wachstum. Das Land holt leider sein Etikett als „der kranke Mann Europas“ zurück.
Das macht Deutschland zum perfekten Kandidaten für die konträre Analyse von Free Lunch am Sonntag. Diese Woche habe ich den langfristig optimistischen Fall für die deutsche Wirtschaft erforscht. Hier ist, was ich gefunden habe.
Zunächst sind Berichte über den industriellen Rückgang Deutschlands übertrieben. Die deutsche Fertigung ist tatsächlich überraschend widerstandsfähig und agil.
Die Energiekrise und die Lieferkettenstörungen nach der Covid-19-Pandemie haben die deutsche Industrie getroffen. Energieintensive Branchen wie Chemie und Metalle sind geschrumpft. Aber der IWF bemerkt, dass sich andere Sektoren angepasst haben, indem sie „in höherwertige Produkte umgeschwenkt und weniger Zwischenprodukte verwendet“ haben. Die Exporte von Elektrofahrzeugen stiegen 2023 um 60 Prozent. Auch die Produktion von Elektronik und Optik sowie von Flugzeugmaschinen hat zugenommen.
Die nachstehende Grafik zeigt, dass die deutsche Fertigungsproduktion zwar gesunken ist, der Mehrwert jedoch stabil geblieben ist.
In der Tat kann die langjährige Expertise Deutschlands im Maschinenbau auf neue Wachstumssektoren (im In- und Ausland) umgelenkt werden. Und obwohl die Exporte in die USA und nach China durch steigende Handelsspannungen beeinträchtigt sein können, bleibt das Land die dominierende industrielle Kraft in Europa.
Die Nachfrage nach Verteidigungsausrüstung und grünen Technologien steigt in ganz Europa. Deutschland hat sich auf beides spezialisiert, führt Europa bei Patenten in der grünen Technologie (und insgesamt) an und liegt auch in der IMF-Index für den komparativen Vorteil bei grünen Gütern weit vor den USA und China. Dazu gehören hoch effiziente Kraftwerke, intelligente Netzkonzepte und Ladetechnologien.
Als nächstes wird die enorme Stärke der deutschen Industrie durch die Performance ihres Aktienmarktes unterstrichen. Trotz der düsteren Erzählung über seine Wirtschaft hat der Dax im letzten Jahr alle anderen wichtigen Indizes – einschließlich des S&P 500 – übertroffen.
Die FT berichtete im Dezember, dass die Stärke des Dax von Deutschlands eigenen „Magnificent Seven“ getragen wurde: SAP, Siemens, Siemens Energy, Allianz, Deutsche Telekom, Rheinmetall und Munich Re. Ihr Fokus auf globale Märkte hat sie vor der inländischen wirtschaftlichen Schwäche geschützt.
Zwar ist die Marktkonzentration ein Anliegen, aber diese Unternehmen sind auf Energie, Telekommunikation und Versicherungen verteilt – im Gegensatz zum S&P 500, der wie die jüngste Volatilität gezeigt hat, anfällig für KI-basierte Korrekturen ist.
Wenn diese Unternehmen stark bleiben, besteht eine attraktive Kaufgelegenheit für Investoren. Goldman Sachs stellt fest, dass der gesamte deutsche Aktienmarkt historisch betrachtet einen Rabatt gegenüber den USA aufweist, selbst wenn er für die Sektorenzusammensetzung bereinigt wird.
Aber die Stärke der deutschen Unternehmen erstreckt sich über diese großen Gruppen hinaus. Die Industrie wird von den sogenannten Mittelstand dominiert. Diese kleinen und mittelständischen privaten Unternehmen unterscheiden sich von den kleineren Unternehmen in den USA und im Vereinigten Königreich – sie sind spezialisierter und innovativer und werden oft als „hidden champions“ bezeichnet.
Dazu gehören ZARM Technik (das Geräte herstellt, die Satelliten im Weltraum drehen); Sick (ein Sensorhersteller); KAEFER Isoliertechnik (das Isoliertechnologie herstellt); und König & Meyer (ein Hersteller von Musikständern).
Die nachstehende Grafik zeigt, dass die deutsche Industrie gut für die Wertschöpfung positioniert ist, da sie in einer Reihe von Wachstumssektoren über eine hohe Wettbewerbsfähigkeit verfügt. (Forscher von BCG und dem Deutschen Wirtschaftsinstitut haben eine Ranking-Methodik mit Teilindikatoren für Wettbewerbsfähigkeit und globale Marktattraktivität entwickelt, wie weltweiter Marktanteil, Anzahl der Patente, Marktwachstum, Wettbewerbsintensität und Technologiereife.)
Die deutsche Industrie erzielt erhebliche Umsätze durch den Verkauf von Waren und Dienstleistungen im Ausland, was sie anfällig für Nachfrageschwankungen und geopolitische Entwicklungen macht.
Aber es gibt Möglichkeiten, mehr nach Europa zu verkaufen, insbesondere im Verteidigungs- und im Bereich der grünen Technologien (besonders da Handelskriege intensiver werden und die USA sich von der erneuerbaren Energien-Agenda zurückziehen). Auch das inländische wirtschaftliche Umfeld könnte mittelfristig Gegenwind bieten.
Die deutschen Wahlen sind eine Gelegenheit für einen Neuanfang. Der voraussichtliche nächste Kanzler, Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU, wird voraussichtlich einige Strukturreformen verfolgen. Koalitionspolitik könnte jedoch viele seiner Pläne abschwächen.
Trotzdem, unabhängig von der Zusammensetzung der deutschen Regierung, ist die optimistische Perspektive, dass selbst marginale Verbesserungen in der Politik das Produktivitätswachstum steigern könnten (und die industrielle Agilität unterstützen könnten).
Zunächst hält die verfassungsmäßig verankerte „Schuldenbremse“ – die erfordert, dass das strukturelle Defizit bei 0,35 Prozent des BIP bleibt – unnötigerweise die öffentlichen Investitionen zurück. Der Anteil der Kapitalausgaben an der deutschen Wirtschaft ist einer der niedrigsten in der OECD.
Mehr als die Hälfte der Deutschen unterstützen eine Überarbeitung der Kreditaufnahmegrenzen. Tatsächlich bedeutet die Schuldenbremse, dass das Land den fiskalischen Spielraum hat, um die Ausgaben für produktive Investitionen in die marode Straßen-, Schienen- und Wohnungsinfrastruktur zu erhöhen.
Bei so niedrigen öffentlichen Investitionen würde selbst eine leichte Lockerung der Schuldenbremse einen spürbaren Unterschied machen (Schätzungen zufolge könnte Deutschland jährlich zusätzlich €48 Mrd. oder etwa 1,2 Prozent des BIP leihen, ohne gegen EU-Fiskalregeln zu verstoßen).
Es gibt mehr tief hängende Früchte. Kürzlich durchgeführte Genehmigungsreformen haben einen raschen Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben und die hohen Renditen durch Bürokratieabbau unterstrichen. Tatsächlich dauert es 120 Tage, um eine Geschäftslizenz zu erhalten (mehr als doppelt so lange wie der OECD-Durchschnitt), so der IWF. Auch die Digitalisierung der Regierung hinkt hinterher. So füllen nur 43 Prozent der Dienste persönliche Daten in Online-Formulare vor, verglichen mit dem EU-Durchschnitt von 68 Prozent.
Es gibt politische Hürden zu überwinden, um die Investitionen zu erhöhen und die Zeit- und Kostenbelastung durch Bürokratie zu verringern. Produktivitätsgewinne werden Zeit brauchen. Aber selbst inkrementelle Verbesserungen auf niedrigem Niveau wären wachstumsfördernd.
Ein Knackpunkt ist die Einwanderung. Die erwerbsfähige Bevölkerung schrumpft schnell, und Deutschland leidet unter verschiedenen Fachkräftemängeln. Wenn die Migration weiterhin politisch heikel bleibt, werden Umschulungsinitiativen mehr Investitionen benötigen. Das Land macht jedoch Fortschritte in der Robotik, die dazu beitragen kann, Arbeitskräfte für höherwertige Beschäftigungen freizusetzen.
Die jüngste wirtschaftliche Leistung Deutschlands war zweifellos deprimierend. Es ist unwahrscheinlich, dass sich dies bald ändern wird. Aber die Erzählung über seinen industriellen Niedergang ist übertrieben. Negative Schlagzeilen verbergen die zugrunde liegenden Stärken des Landes in Fertigung und Innovation.
Deutschland AG (und GmbH) hat die Expertise, sich in wachsende Sektoren wie grüne Technologien, Verteidigung und fortschrittliche Fertigung umzuschwenken. Auch die politische Klasse hat die Abhängigkeiten des alten Wirtschaftsmodells erkannt. Dies gibt Hoffnung, dass Deutschland mit der Zeit auf der Welle der schöpferischen Zerstörung reiten könnte, insbesondere wenn die Politik eine fördernde Rolle spielen kann.
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Stoff zum Nachdenken
Mit der Verbesserung der künstlichen Intelligenz müssen Menschen darüber nachdenken, welchen komparativen Vorteil sie gegenüber sachkundigen Maschinen haben. Diese Studie untersucht die Persönlichkeitsmerkmale, die am ehesten den technologischen Wandel überbieten und wirtschaftliche Renditen erzielen.
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